Tomas Hoke ist in einer Familie aufgewachsen, in der die Kunst der Alltag war. Damals war die Kunst noch nicht tot(gesagt); zumindest ging damals noch – auch bei dem um 15 Jahre älteren Verfasser dieses Aufsatzes – die frühkindliche Prägung davon aus, dass die Kunst die höchste Lebensform überhaupt ist und sie daher in alle Bereiche des Lebens vorzudringen hat. Dies schien (scheint?) auch für den Schmuck zu gelten, zumal das griechische Wort „Kosmos“ nicht bloß das Weltall, das Weltganze, sondern auch den Schmuck bedeutet. Tomas Hoke hat also schon in der Meisterklasse der Hochschule für angewandte Kunst begonnen, sich mit Schmuck zu befassen, allerdings unter Inanspruchnahme der künstlerischen Freiheit.
Was soll überhaupt die Gegenüberstellung freie Kunst – angewandte Kunst? Wird die freie Kunst nicht angewendet? Was soll sie dann überhaupt im Leben? Auch dass das MAK heute „Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst“ heißt, verhüllt das Problem mehr, als es aufklärt. Worin liegt dann der Unterschied, und gibt es irgendetwas dazwischen?
Als meine Frau und ich uns im Jahre 1984 über die erste Anschaffung einer Arbeit von Tomas Hoke – Schmuck – freuten, war dies noch in einer Galerie möglich, die auf dem Gebiet der freien Kunst namhaft war. Der Schmuck schien auf einem guten Wege, in die Gesellschaft als Kunst eingebürgert zu werden. Die Ausübenden der freien Künste haben dies mit Zwang verhindert. Sie haben die Galeristin wissen lassen, dass es ein Skandal sei, neben ihren Werken auch Schmuck anzubieten. Die Galeristin hat nie wieder Schmuck zur Schau gestellt.
Hier das glückliche Ende vorweg:
Alle, darunter meine Frau und ich, haben Tomas Hoke zu danken, dass er nicht aufgehört hat, die Freiheit in ihrem ursprünglichen Sinn zu verstehen, nämlich mit seinen ureigensten Talenten allen Fragen des Lebens nach Kräften nachzugehen, hier also mit dem Fühlen, dann aber auch mit dem Wissen der Kunst. Die Arbeit des Tomas Hoke ist zu einem Gutteil erfolgreiche Forschung.
Woher kommt die Ablehnung des Schmucks durch die Intellektuellen und sein Totschweigen in der Ästhetik bis zum Beginn dieses Jahrtausends? (Die Armen und die Reichen werden immer ihren Schmuck haben – sie müssen darüber nicht nachdenken.) Der katholische Ordensbruder ist ungeschmückt und der Protestant Friedrich v. Schiller hat sein „Gehorsam ist des Christen Schmuck“ einer Lutherpredigt entnommen. (In den Evangelien selbst wird den Menschen nicht die Schmucklosigkeit abgefordert.)
Über die kulturhistorische Bedeutung des Schmucks, auch über das mythische Gold, haben die Weisen auch als Dichter immer geschrieben, aber nie in Verbindung mit Kunst, es sei denn in verächtlicher Gegenüberstellung zur großen Natur, eben als Künstlichkeit.
Wie kommt Kant dazu, Schmuck als etwas zu definieren, das der wahren Schönheit Abbruch tut? (KdU, B43) Schmuck ist Zierat (Parerga) und daher nur Zutat. Schmuck hat also mit den wesentlichen Werten des Menschen nichts zu tun – oder soll nach dieser Meinung nichts zu tun haben. Dabei mag es durchaus sein, dass Schmuck (bloß) angenehm wirkt oder auch durch die große Kunstfertigkeit oder das verwendete Material im Sinne des Erhabenen beeindruckt. Wenn es um die reine Schönheit geht, dürfen Reiz und Rührung nicht dabei sein, meint Kant. Noch schlimmer ist es, dass Schmuck, das Zeichen der Liebe, zur Verführung missbraucht werden kann. Mephistopheles musste dem Dr. Faustus dafür sogar zwei Schmuckkästchen zur Verfügung stellen. Der Begriff Schmuck hat also a priori etwas Verwerfliches an sich.
Die erste – von meiner Frau so gerne getragene – von uns angeschafften Schmuckarbeit von Tomas Hoke ist der Werkgruppe „Evolution“ zugeordnet. Die künstlerische Wahrhaftigkeit hat Tomas Hoke zu den Anfängen des Schmuckes zurückgeführt. In seiner Abstraktheit liegt viel Mythisches. Die Beweglichkeit der Teile macht das Schmuckstück angenehm und freundlich – es beschäftigt die Fantasie und nimmt für die Trägerin ein. Die Materialbeherrschung weist es als gegenwärtig aus. Vielleicht hat es noch nicht die Zuordnung zu einer einzigen Persönlichkeit erkennen lassen, aber es war jedenfalls ein Versprechen für die Zukunft, und das ist wohl die Hoffnung eines jeden Paares.
Damals gab es schon den zehn Jahre früher von Karl Schollmayer so bezeichneten Neuen Schmuck als Abkehr und Unterscheidung vom Juwelierschmuck. Mir ist dieser Name sympathischer als der wesentlich später eingeführte „Autorenschmuck“. Wenn nur Namen herumgetragen werden, so ist die Falle neuer Eitelkeiten aufgerichtet.
In den nächsten Stücken war dann schon die Tomas Hoke kennzeichnende Experimentierfreude in Material, Form und Inhalt da. Mit dem Neuen Schmuck darf man in Unbekanntes vordringen. Ist es Tierhaut oder eine Textilie, die hier in Spannung gebracht, fixiert und mit Farbe versehen ist?
Schmuck darf durchaus interessant und auffällig sein, eine Auszeichnung der Trägerin.
Erst jetzt erkennen meine Frau und ich, dass ein in den 90er Jahren erworbener Halsschmuck dem Kreis „Idol“ angehört. Ist dieses Wissen unbedingt erforderlich? Es ist wohl wie in den anderen Gebieten der bildenden Kunst. Ein Titel kann eine Hilfe sein, aber zunächst ist die Begegnung mit dem Kunstwerk eine Frage an sich selbst. Und wenn dann eine Antwort, ein Einstimmen in das Kunstwerk gefunden wird und auch die Überzeugung besteht, dass die Allgemeingültigkeit der künstlerischen Lösung auch von anderen mitempfunden wird, so ist das Menschliche an sich angesprochen. Ein Schmuckstück, das von der Trägerin erklärt werden muss, ist ein Unding.
In die letzten Schmuckarbeiten – Halskrausen – sind die Erfahrungen eines ganzen künstlerischen Lebens eingeflochten, nicht nur die Materialbeherrschung, sondern auch das Wissen um die besonderen Notwendigkeiten des Neuen Schmuckes.
Damit ist klar:
Der Schmuck von Tomas Hoke ist jedenfalls möglich. Er entspricht der Vorschule (Propädeutik) des höchsten Grades der Vollkommenheit aller schönen Kunst, nämlich der Kultur der Gemütskräfte im Sinne der Humanität. Sie ist einerseits das allgemeine Teilnehmungsgefühl, andererseits das Vermögen, sich innigst und allgemein mitteilen zu können. Die Verbindung dieser Eigenschaften macht die der Menschheit angemessene Geselligkeit aus. (Kant, KdU B262)
In allen Arbeiten von Tomas Hoke ist das Universalitätsstreben erkennbar, im Schmuck ganz besonders. Tomas Hoke möchte alle erreichen. Darum hat er auch eine Schmuckgalerie gestaltet.
Es ist Sache der Trägerin, dem Schmuck Wirklichkeit zu geben. Sie wird ihre eigene Möglichkeit der Humanität und Einbildungskraft mit der von Tomas Hoke verbinden. Das erfordert nicht mehr Mut als das jeder Frau von Natur gegebene Maß. Das mit so viel Kunst und Verstand von Tomas Hoke gefertigte und von der Trägerin uneitel, somit würdig und freudig inszenierte Luftschloss wird damit zum Lustschloss für alle. Romantische Ironie ist menschlich, aber eben nicht allzu menschlich.
Nun ist der Geist das belebende Prinzip im Gemüt. Tomas Hoke bereichert das Teilnehmungsgefühl mit seiner Stellungnahme zu den Fragen des Lebens. Was ist Evolution? Wohin führt sie uns? Was hat die Neuroästhetik mit Schmuck zu tun? Ist es erlaubt, die Wahrnehmung des eigenen Körpers zum Gegenstand von Schmuck zu machen? Was ist überhaupt ein Gegenstand bezogen auf den menschlichen Geist? Gibt es den schönen Gegenstand? Was erlaubt es mir, mein Urteil über das Schöne – das Geschmacksurteil – den anderen vorzuführen? Ist es gestattet, sich der Hilfe eines Dritten – hier des Tomas Hoke – zu bedienen?
Schön ist, sagt Kant, was ohne Begriff als Gegenstand eines notwendigen Wohlgefallens erkannt wird. Das kantische interesselose Wohlgefallen bezieht sich auf die Haltung der Trägerin. Sie darf eben nicht ihren Reichtum, Hochmut und Eitelkeit zur Schau stellen, sondern ihre eingeborene Freude am Schönen und der Bewegung des Gemütes, dies mit der Absicht, die Empfindung mit anderen zu teilen. Dann wird der schöne Gegenstand auch interessant sein. Die Ästhetiker sind sich einig, dass das Urteil über das Schöne der Geschmack ist. Die Trägerin zeigt ihr Urteil über das Schöne und lässt es zu, dass sie selbst beurteilt wird. Was also ist das beste Geschmacksurteil, das also das Schöne erkennt?
Gustav Theodor Fechner hat im 19. Jahrhundert die Psychophysik begründet, den Ursprung der Wahrnehmungspsychologie. Er hat Testserien zum Schönheitsempfinden durchgeführt. Er bezeichnet seine Methode „Von unten nach oben“. (Kant kommt grundsätzlich „Von oben herab“, ist aber dann stets bemüht, seine Ergebnisse als mit der Empirie übereinstimmend nachzuweisen.)
Fechner schließt den ersten Teil seiner „Vorschule der Ästhetik“, Leipzig 1876:
„Der beste Geschmack ist der, bei dem im Ganzen das Beste für die Menschheit herauskommt; das Bessere für die Menschheit aber ist, was mehr im Sinne ihres zeitlichen und voraussetzlich ewigen Wohles ist.“
Sowohl bei Fechner als auch bei Kant – man darf also hoffen, dass es so ist – ist die Grundlage des Schönheitsempfindens die Freude, die Lust. Im zweiten Teil seiner Vorschule, im Kapitel „Frage nach dem allgemeinsten Grunde der Lust und Unlust“, meint Fechner:
„In Kürze bezeichne ich mit dem Ausdruck „stabil“ einen Bewegungszustand, welcher die Bedingungen seiner Wiederkehr einschließt, also abgesehen von Störungen wirklich periodisch wiederkehrt, indem die Rückkehr zum ersten Zustande auch die Rückkehr zu den Bedingungen einer neuen Wiederkehr ist.“
Dieser Zustand wird im Schmuck von Tomas Hoke erreicht. Die Freude ist stabil.
Wien, Dezember 2018
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Karl Bollmann:
Ist Schmuck möglich? In
KosmosE, Monografie Tomas Hoke, Ritter Verlag 2019, S 106-107
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