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Tomas Hoke: Über Baustellen und andere Stolpersteine. 2008

Der Künstler als Transformator. Raum:Konzepte. Waidhofen

"Sichtbare Unwirklichkeiten" (Jorge Luis Borges)

Über Baustellen und andere Stolpersteine".
 UT.: Der Künstler als Transformator


Kunst im öffentlichen Raum nervt.
Kunst im Öffentlichen Raum steht im Weg.
Kunst im Öffentlichen Raum altert schneller als man selbst.

Kunst im Öffentlichen Raum ist Erlebnis.
Kunst im Öffentlichen Raum bleibt in Erinnerung.
Kunst im Öffentlichen Raum transformiert Sehgewohnheiten.
Kunst im Öffentlichen Raum simuliert Identität.

Kunst im Öffentlichen Raum ersetzt den Pranger.
Kunst im Öffentlichen Raum gehört jedem und niemanden.
Kunst im Öffentlichen Raum verschwindet im Alltag.

Ich möchte kurz meine Beschäftigung mit dem öffentlichen Raum skizzieren:
In den späten Siebzigern und anfangs der 80er Jahre war die Beschäftigung mit Kunst im öffentlichen Raum, zum Bsp. als Wettbewerbsteilnehmer, höchst suspekt.
Die zwiespältige Situation, in die man sich damit als Jungkünstler brachte, habe ich an der Hochschule für Angewandte Kunst am eigenen Leib erfahren – das war ein Feld für korrumpierbare Auftragskünstler, die eigentlich den hehren Anspruch der „reinen“ Kunstausübung verraten.
Aber ich hatte irgendwie die Sandkastendiskussionen satt, realisierte einige Projekte am Bau, und beschäftigte mich in der Folge intensiv mit Architektur und Soziologie, und kam über diese Schiene zur Beschäftigung mit den Bedingungen, die den öffentlichen Raum zum Handlungsspielraum für künstlerische Eingriffe aufbereitet.

Es kristallisierte sich immer mehr heraus, dass eine grundlegende Auslotung notwendig ist, um den öffentlichen Raum überhaupt als solchen zu markieren.

1988/89 entwickelte ich zusammen mit H.P.Maya als Kuratoren der Dreiländerbiennale INTART, in Zusammenarbeit mit der Universität Klagenfurt, ein Organisationskonzept, das interdisziplinär Orte mit Brisanz an der Peripherie untersuchte. Es entstanden daraus eine Fülle künstlerischer Projekte, deren Produktionsprozesse, im Gegensatz zur üblichen Repräsentationskultur, vor Ort und unter heftiger Teilnahme der Anwohner veröffentlicht wurden.
Die Information wurde über die Medien verteilt, eine eigene Rubrik in der Kleinen Zeitung und ein Vertrag mit dem ORF, alle Projekte zu dokumentieren und zu senden, begleiteten die Aktionen. Dies war ein Vorläufer des Festivals der Regionen.

Mir war klar, dass ein Künstler des Öffentlichen Raums auch an der Gestaltung der Bedingungen zu arbeiten hat, und sich damit auch politisch engagieren muss.
Damals wurde ein neues Kulturfördergesetz diskutiert, Kulturreferent und LH Peter Ambrozy setzte ein Gremium ein, das mit Kulturarbeitern aus allen Sparten beschickt wurde, um ein innovatives, und den Anforderungen der Zeit entsprechendes Gesetz mit zu gestalten. Es war also eine gute Zeit wesentliche Veränderungen zu gestalten.
Dieses Gesetz war damals das innovativste Österreichs – wurde aber leider wenig später durch die Regierung unter Haider völlig ausgehöhlt und kommt kaum mehr zur Anwendung.
Heute gibt es in Kärnten, weder auf politischer noch auf Beamtenebene, Ansprechpartner für Kunst und Öffentlicher Raum – und dieser Raum wird durch populistische Events überschwemmt - ein ernsthafter Diskurs findet nicht mehr statt.

Heute nehme ich die Sache gelassener. Eigentlich beansprucht die Kunst alle Lebensräume – und in welchem Raum sich ein Künstler/eine Künstlerin einrichtet, ist für die Relevanz der Kunst in der Öffentlichkeit ziemlich egal. Entscheidend ist die richtige Wahl der Mittel für den Rahmen, der zu füllen ist.
Ich arbeite an manifesteren Projekten mit der Architektur genauso wie ich temporäre Interventionen im öffentlichen Raum einrichte oder organisiere. Im Moment sind temporäre Interventionen mehr im Fokus, daher beginne ich gleich damit.

Temporäre Interventionen

Wenn es um die Nachhaltigkeit künstlerischer Projekte geht, ist es nicht mehr notwendig  permanente Installationen zu errichten – temporäre Ereignisse sind zumindest ebenbürtig - ihre Wirkung in Erkenntnis und Erinnerung ist nicht zu unterschätzen.
Sie ist inzwischen zu einem wesentlichen Element in der Auseinandersetzung im öffentlichen Raum geworden. Die politische Brisanz künstlerischer Anliegen kommt hier unmittelbarer zum Ausdruck, was naturgemäß bei den Parteien unterschiedliche Reaktionen auslösen, und bis zum Schwingen der Zensurkeule führen kann. Kunst wird zum Prüfstein der Zivilgesellschaft.

Veränderung generiert Aufmerksamkeit.

Wenn der alltäglich erlebte Umraum  durch temporäre Eingriffe künstlerischer Art immer wieder neue Aspekte als Ort in der der Zeit vermittelt, dann wird er als höherwertiger und erweiterter Lebensraum wahrgenommen – er bekommt eine simultan erlebte Geschichte.
 
Für die KünstlerInnen ist diese Arbeitweise ähnlich einer Laborsituation, denn die Reaktionen auf das Werk sind unmittelbar zu erfahren. Es ist erstaunlich, dass kurzlebige Ereignisse und Projekte sich oft sehr lange im öffentlichen Bewusstsein halten. Vielleicht liegt das daran, dass kollektives Bewusstsein stärker auf Erlebnisse fokussiert ist, als auf das stille Betrachten eines Objektes.
Hier sieht man wie unterschiedlich Künstler an bestimmte Aufgaben herangehen müssen, wollen sie qualitätsvolle (dh. auch nachhaltige Wirkung) erzielen. Der Einsatz für temporäre Projekte ist grundsätzlich verschieden zum Einsatz im Baubereich, wenn nicht einfach eine Skulptur aufgestellt, oder ein Bild aufgehängt werden soll.

Der als Baukünstler agierende Künstlertyp wird versuchen ein differenziertes Verhältnis zum Architekten zu entwickeln, um seinen gestalterischen Impuls nicht als Ornament appliziert an Bauwerken wieder zu finden, sondern als strukturelles Implantat, das als Ausweitung der Architektur und des Umraumes energetische Funktionen erfüllt.

Der in temporären Interventionen agierende Künstlertyp verhandelt seine Intention eher über szenische Verfahren vor dem Hintergrund direkter Öffentlichkeit, oft auch im Rahmen von großflächig organisierten Projekte (Festival d. Regionen).



Erwartungen und Kommunikation

Über die Orts- und Kontextabhängigkeit von Kunst im öffentlichen Raum muss hier nicht mehr die Rede sein, man setzt sie voraus.
Über die wechselseitigen Erwartungen gibt es aber hingegen einiges zu diskutieren.

Der Paradigmenwechsel im öffentlichen Raum vollzieht sich im Erweitern des Privatraums in dieses Feld, was zur Folge hat, dass gleichzeitig der politische Handlungsraum zurückgedrängt wird. Kunst, die sich hier behaupten will, muss dialogische Qualitäten entwickeln, was heißt, dass der Rezipient integraler Bestandteil des Werkes wird.

Vor diesem Hintergrund ist jede Intervention, deren Sinnzusammenhang nicht klar kommuniziert wird, zum Scheitern verurteilt, vor allem dann, wenn sich die Intentionen ausschließlich an einem „Fachpublikum“ orientieren. Dann landen die Bilder der Szene in den einschlägigen Magazinen und Dokumentationen – das Aggregat „Kunstwerk“ wird vor Ort seine Wirkkraft nicht adäquat entfalten können, weil es nicht „gelesen“ werden kann.

Der ästhetische Erfahrungshorizont der Rezipienten im öffentlichen Raum reicht im Allgemeinen natürlich nicht aus, um über eine subjektive Wahrnehmung hinaus ein Zeichensystem zu deuten – aber man kann ihm entgegenkommen:
Wie schon gesagt, dialogische, bzw. interaktive Qualitäten schaffen hier Handlungsspielraum. Ich nenne diesen Spielraum „Resonanzraum“.

Der Begriff „Resonanzraum“ bezeichnet Räume, in denen durch Interaktion Energiepotentiale wirksam werden, die Passanten und Betrachter gleichsam „aufladen“.
Ich behaupte, dass jede künstlerische Intervention, die am Gesamtraum interessiert ist, eine „Streckung“ des Bewusstseins in jedem einzelnen bewirkt.
Wenn im Verlauf einer en passant Wahrnehmung ein Stimmungswandel stattfindet, ist das schon die halbe Miete, sozusagen. Kommt dann noch ein erhöhtes Aufmerksamkeitspotential dazu, dann könnte das Aggregat Kunstwerk Teil eines komplexeren Ereignisses werden, dessen Halbwertszeit zumindest im Erinnerungsraum eine zeitlang hält.
Das Kunstwerk als Katalysator, der Künstler als Transformator der Wirklichkeitsenergie.

Künstler:
Künstler des öffentlichen Raums agieren im oben beschriebenen Resonanzraum als Dienstleister. Zuallererst natürlich als Dienstleister der Kunst, und in der Folge als Kommunikationsdesigner. Denn um Kommunikation geht es strukturell im Öffentlichen Raum.

Um den Status eines Kulturdienstleisters in der Gesellschaft zu erreichen, muss das Berufsbild neu definiert werden: Vergleicht man die, von der Gesellschaft völlig akzeptierte, Berufsform des im „Dienst an der Öffentlichkeit“ Angestellten, mit dem des „im Dienst der Kultur“ wirkenden Künstlers, dann könnten die fest gefügten Bilder nicht unterschiedlicher sein.

Also worauf steht der Künstler des öffentlichen Raums, wenn nicht auf tönernen Füßen?
Eines steht fest, er sitzt zwischen den Stühlen, und wird solange dort eingezwängt sein, bis er von der Gesellschaft als Dienstleister anerkannt wird.
 
Die ästhetische Kompetenz der Künstler im Ö.R. besteht darin, dass sie den Handlungsraum adäquat zu den Verhältnissen bestimmen können, um darin einen Sinnzusammenhang durch Gestaltung zu erzeugen.
Künstler/innen transformieren die Spannung eines Raums in ein höherwertiges System der Erfahrbarkeit.
Aber diese Kompetenz wird im öffentlichen Raum selten angefragt.

Der Auftraggeber
Wie gesagt, die Grenzen der Privatheit verschieben sich immer mehr in den öffentlichen Raum. Der Auftraggeber ist aber nach wie vor in den meisten Fällen die öffentliche Hand -  Und hier kommt es zu Reibungskräften, denn der Prozess der Entscheidungsfindung wird politisch erfahren, und oft nur scheinbar demokratischen Verfahrensweisen unterworfen.
Die Entscheidungen was im öffentlichen Raum ästhetisch wirksam wird und was nicht, wird immer öfter zum sichtbaren Ausdruck individueller Bedürfnisse und Repräsentationsgelüste. Und da wird der Kunst eine funktionalisierte Rolle missbräuchlich zugeschrieben.
Als Beispiel der Umgang mit historischer Substanz:
Früher wurde gnadenlos abgerissen, was nicht mehr als funktional nutzbar betrachtet wurde - da war die historische Substanz wertlos – heute, wo Tourismusmanager die Traditionen exzessiv vermarkten, wird der Denkmalschutz zum vorgeschobenen Posten um zeitgenössische Eingriffe zB. in ein Ortsbild möglichst zu erschweren. Auch das ist ein Missbrauch und auch historisch eine Dummheit.

Das Integrieren zeitgenössischer Architektur und Kunst ist nach wie vor ängstlich von  Unsicherheit geprägt.
Trotzdem fühlen sich aber immer mehr Bürger als Experten der Ästhetik dazu befähigt mitzubestimmen, was gut und was schlecht für den öffentlichen Raum ist - ähnlich dem Phänomen, dass jeder, der Fußball vom Fernsehen her kennt, der bessere Teamchef unseres Fußballteams ist; nur hört sich leider der Spaß dann auch schon auf, sobald irgendwelche Befindlichkeiten diskutiert werden, und ist das Spiel ist nicht mehr zu machen - so schnell kann man gar nicht schauen, wie die Kunst abhaut.
Der künstlerische Handlungsspielraum im öffentlichen Raum ist also nach wie vor begrenzter als in den Kunstbetriebsräumen.

Paradoxerweise wird ein erhoffter touristischer Mehrwert durch die Leistung von Künstlern kaum der Produktion von Kultur zugerechnet, sondern wird am Unterhaltungswert gemessen. (Man stelle sich vor, unsere Politiker würden nach ihrem Unterhaltungswert gewählt? Kaum anzunehmen, oder?). Man könnte natürlich sagen, kritische Auseinandersetzung hätte auch so seinen Unterhaltungswert.


Dazu ein altes Zitat von Bazon Brock:
>Man muß es immer wieder betonen, weil es so unglaublich klingt: Sämtliche kulturellen Leistungen in unserer Gesellschaft sind gönnerhafte Zugaben. Die Öffentliche Hand verpflichtet nicht ein einziges Gesetz zu bestimmten kulturellen Leistungen, nicht einmal zu denen, die, weil man sie schon so lange hat und als Errungenschaften der Geschichte nur pflegen müßte, den Heutigen nicht eigentlich als Leistung angerechnet werden können. Das verdinglichte Kulturverständnis scheint davon auszugehen, daß man über Kultur ähnlich wie über Bodenschätze verfügen könne: ein in der Geschichte reichlich gebildetes Reservoir, das man nur auszubeuten, aber nicht zu erneuern brauche. Nach solcher Auffassung scheint die in unserer Vergangenheit angehäufte Kultur auch für die Zukunft auszureichen - nach dem Motto eines großen Kunstverlags: "Tradition ist Fortschritt genug".1977<

Ja was denn! Sind wir jetzt eine Kulturnation, oder erschöpft sich die Gesellschaft im Sozialstaat. Für den Sozialstaat gibt’s selbstverständlich Gesetze, aber eine Kulturpflichtigkeit in einem Staat, der seine scheinbare Identität aus der Kulturproduktion bezieht, ist völlig undenkbar.

Über die Verwaltung




Das ganze Unterfangen ist naturgemäß eine reichlich absurde Situation für alle Beteiligten. Ein Spiel auf der offenen Bühne. Jeder Darsteller versucht sich ins Bild zu bringen, obwohl es überhaupt nicht darum geht ein „gemeinsames“ Bild zu entwickeln, - das kommt von alleine, oder gar nicht.

Naturgemäß wird Kunst im öffentlichen Raum immer auch politisch reflektiert.

Soll ein konkreter Orts- oder Kontextbezug hergestellt werden, oder nicht?
Wenn ja, wieweit soll sich ein(e) Künstler/In darauf einlassen?
Ist denn der/die Künstler/in nicht hauptsächlich an universellen Objekten interessiert?

In den meisten Fällen, der mittlerweile unübersichtlichen Produktion von Kunst für den öffentlichen Raum, beherrschen Missverständnisse die Diskussion.
Aus Tradition erhoffen Auftraggeber meistens (noch immer!) einen glanzvollen Aufputz, Künstler können und wollen aber (nicht immer) strahlen.
Erhoffen sich Auftraggeber einen Impuls für die „Kreativität“, dann fühlen sich die Künstler/Innen funktionalisiert.
Wenn dann Künstler auch noch in den Sozialraum hineinarbeiten, kann die Sache auch peinlich werden, weil hier oft Kompetenzen angemaßt oder zugemutet werden, die über Alibiaktionen nicht hinausgehen.


Sichtbare Unwirklichkeiten (Jorge Luis Borges)

Hier geht es nicht um Dissonanz im ästhetischen Bereich, hier geht es um das Nichtsynchronisieren mit dem öffentlichen Resonanzraum.
Um dies zu erläutern:

Wie „benutzbar“ kann also Kunst im öffentlichen Raum sein, und welchen Status nimmt der Künstler in diesem Raum ein?

Gebrauchswert/Dienstleistung





Sichtbare Unwirklichkeiten (Jorge Luis Borges)


 erfordert eine völlig andere Form des Berufsbildes.

Anders als in den Kunstbetriebsräumen, ist der Bezugsrahmen im öffentlichen Raum ungleich vielschichtiger angelegt, Zeiträume spielen eine nicht unwesentliche Rolle.
Kunst im öffentlichen Raum als Zeitmarkierung?

Wenn ordnende Kräfte aufgerufen werden um hier den Raum zu gestalten, sind im städtischen Rahmen zuerst fast immer planende Baumenschen zur Stelle, möglicherweise ein paar Soziologen und Verkehrsplaner, und am Schluss der Kette, wenn noch Budget übrig bleibt, ein(e) Künstler/in. Die Ergebnisse kennen wir. Entweder sind die installierten Werke so klein, dass sie in keinem Verhältnis zur Umgebung stehen, oder sie sind so angepasst, dass man sie gar nicht ernsthaft wahrnehmen kann.





 

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Hoke 2008
Tomas Hoke, U?ber Baustellen und andere Stolpersteine. Der Ku?nstler als Transformator, in: Theresia Hauenfels (Hg.)/Silvie Aigner (Hg.), Raum:Konzepte. Stadt als Dialog – Struktur als Modell, Wien 2008, S. 72-77.

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