Ob als Vorstudien, Skizzen oder Entwürfe zu seinen größer angelegten, dreidimensionalen und interaktiven Werken oder als autonome Kunstwerke konzipiert, scheint das grafische Werk auf den ersten Blick ein Stiefkind im Oeuvre Tomas Hokes zu sein. Und doch begleitet es das künstlerische Schaffen Hokes von Beginn an, wurde jedoch kaum ausgestellt oder vom akribisch geführten Werkverzeichnis des Künstlers erfasst.
Das grafische Oeuvre besteht aus Tusche- und Ölkreidezeichnungen und aus Aquarellen. Fotoarbeiten und computergenerierte Werkblöcke ergänzen das Spektrum. In den Papierarbeiten setzt sich Hoke unkonventionell mit Inhalten und Formen auseinander, findet zu Lösungen, die zum Teil auch für das dreidimensionale Werk interessant sind.
Zunächst wären da einmal die frühen Ölkreidezeichnungen der Jahre 1983 – 1987: die Kabuki-Blätter, die Aktstudien, die Selbstporträts und einige weitere Porträts, die jedoch nie nach einem Modell gearbeitet sind. Tomas Hoke schafft hier figurative Bilder, die durch gestisch-expressive Striche geprägt sind und seine Arbeiten in die Nähe der Neuen Wilden bringt. In diesen verzerrten Körpern kommen existenzielle Nöte und innere Zwänge zum Ausdruck.
Das Leitmotiv fast all seiner grafischen Arbeiten, die in konzentrierten Arbeitsphasen entstehen, ist der Körper mit allem was dazugehört: Kopf, Sinneswahrnehmungen, Eros u.v.a.. Ist es nicht der menschliche Körper, so treffen wir auf Landschaftskörper, auf Allegorien wie der Schwan oder der Stier. Zumeist handelt es sich um Serien, die packende Variationen eines Themas festhalten. Bereits in Lessings aufklärerischem „Laokoon“-Traktat wird der bildenden Kunst nur die Darstellung von Körpern zugeteilt. Und tatsächlich ist das Fokussieren auf dieses Thema die Konstante in Tomas Hokes Werk. Doch Hoke interessiert sich ebenfalls für den Faktor Zeit und den Faktor Raum, für Bewegung in Zusammenhang mit dem Körperlichen.
Als Tomas Hoke das vom Land Kärnten und der Stadt Klagenfurt zur Verfügung gestellte Pariser Atelier in der Cité des Arts 1987 bewohnte, erlaubten es die Umstände nicht plastisch zu arbeiten. Somit entstanden viele Ölkreidezeichnungen auf Papier und Leinwand. Eine Serie der Arbeiten auf Leinen wurde in der Ausstellung „Ordnung und Obsession. Werkgruppen, Serien“ in der Stadtgalerie Klagenfurt im ersten Halbjahr 2017 gezeigt. In diesem Pariser Werkblock wirkt Tomas Hoke koloristischer und malerischer, als man ihn zu kennen glaubt.
Die Blätter des Zyklus „Ken/Minotaurus“, ebenfalls in Paris entstanden, zeugen zum Teil von Witz und Ironie.
Kunsthistorische Referenzen fehlen in seinem grafischen Werk nicht. In dem im Jahre 2014 entstandenen Lenticulardruck auf Linsenrasterplatte verschmelzen vulkanische Landschaften mit einer Vulva. Die Überlappung von Landschaft und Körperlichkeit, von Natur und Sexualität, erzeugt eine beunruhigende und irritierende Konnotation. Sie zwingt uns, die sexuell konnotierten Assoziationen im klaren Licht des Bewusstseins zu betrachten.
Bereits im Jahre 2001 paraphrasierte Hoke den Goya-Zyklus „Desastres“ in einer Serie von Aquarellen, deren Ausführung von Unmittelbarkeit bestimmt wird. Die spielerische Leichtigkeit der Aquarellfarbe liegt Tomas Hoke in diesen Zyklen ganz besonders.
Die in den Jahren 2011 bis 2018 entstandenen Aquarelle auf Kupferdruckpapier, einerseits Akte, andererseits Torsi, zeugen ebenfalls von einer Reduktion von Farben und Formen. Bei den offensichtlich schnell und in einem Zug hingeworfenen Zeichnungen erkennt man keine überflüssigen Striche oder Flächen. Die fast monochrom gehaltenen Körper erscheinen wie Stillleben, bar jeglicher Individualisierung.
Die Blätter der „Schwan“-Serie wirken in ihrer Reduktion fast geometrisch-abstrakt, zwei dünne Balken scheinen den blassen Körper des Schwans einzufangen und ihm Halt zu geben.
Wenn bei Tomas Hoke wieder und wieder die gleichen Motive auftauchen (wie z.B. der Kopf, das Gehirn), dann stehen sie als Symbole für einen größeren Zusammenhang, für einen Kosmos, in den der Mensch eingebettet ist.
Oft werden seine zweidimensionalen Werke durch Neonarbeiten ins Dreidimensionale erweitert. Wie in seinen plastischen Werken geht es Tomas Hoke nicht um eine eindeutige Message sondern um konkrete Spannungsfelder aus Poesie, Technik und Realitätsskepsis.
Die Serie „Trainspotting“, die 2008 während einer Fahrt im Orient-Express entstand, rückt Lichtspuren in den Mittelpunkt, thematisiert Vergänglichkeit und Bewegung. Das Relativierende, Uneindeutige und Offene sind die Grundprinzipien dieser Serie. Es geht auch um das Herbeiführen einer Nachdenklichkeit provozierenden Verunsicherung. Die Fotografie ist bekanntlich ein Medium, das Zeit eher anhält. Hoke steuert die Fotografie so, dass Ambivalenz und Vieldeutigkeit erhalten bleiben.
Die Grafiken Tomas Hokes künden von einem Wechselspiel von spontan gesteuerter Ästhetik und wohldurchdachtem Konzept. Hoke erweist sich auch als Grafiker als Meister einer stupenden handwerklichen Präzision.
Es sind kontemplative Bilder, die als „Kammermusik“ zum großen, orchestral wirkenden plastischen Werk, das oft schwebend und raumgreifend ist, bezeichnet werden können.
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Alexander Gerdanovits:
Tomas Hokes Grafik Versuch einer Annäherung: In
KosmosE, Monografie Tomas Hoke, Ritterverlag 2029, S. 148-149
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