Eine schwebende und raumgreifende multimediale Installation im Gewölbe der Galerie
beschreibt das Innenleben einer Skulptur aus der Perspektive eines Ameisenvolkes.
Überkopf-Eichenbretterkonstruktion, tw. dampfgeformt, mit eingespannten medizinischen Gelatinekapseln im Gewölbe.
Videoprojektion.
Video: Filmsequenz aus Aufnahmen innerhalb der Skulptur „Schreitende” 2014, Saager
Ein Hohlraum unter einer Bronzeskulptur ist der Lebensraum einer Ameisenkolonie. Als blinde Passagiere haben sie schon zwei Ortswechsel hinter sich. Offensichtlich ist der Kunstraum ein Schutzraum mit guten Bedingungen – und so wird beim (seltenen) Ortswechsel die ganze Organisationskultur der Ameisen sichtbar.
Hartwig Knack
zur Installation "Passage"
Tomas Hokes Rauminstallation trägt den Titel „Passage“. Dieser Begriff ist ein sehr facettenreicher: Eine Passage kann ein Durchgang oder eine Durchfahrt sein, eine Fahrt übers Meer oder eine Flugreise. Die Arbeit bietet in diesem thematischen Rahmen also einige Interpretationsmöglichkeiten. Die Installation besteht aus einer Beamerprojektion, einer Bronzeplastik und einer Deckenarbeit, die im Wesentlichen aus Holz gefertigt ist. Die Bronze mit dem Titel „Schreitende“ist eine frühe Arbeit von 1989, die seit Jahren in Hokes Garten stand, das Video ist 2014 entstanden und das „Rückgrat“, wie der Künstler das Objekt an der Decke nennt ist auf die Architektur des Ausstellungsraums im Halterhaus in Leobersdorf zugeschnitten und im Hinblick auf die Ausstellung entstanden.
Rückblick: Als der Künstler vor nun etwa vier Jahren die Bronzeplastik in seinem Garten versetzen wollte, kam darunter eine Ameisenkolonie zum Vorschein, die darin über Jahre hinweg lebte. Das Video, spontan mit dem Mobiltelefon aufgenommen, zeigt das panische Gewimmel der Ameisen, wie sie ihre Eier schützen, in Sicherheit bringen, sich selbst retten und zeigt den Ameisenstaat, wie er im Begriff ist, sich insgesamt neu zu organisieren. Die Bronze wurde also im Garten an eine andere Stelle versetzt und kurze Zeit später war die Ameisenkolonie mit übersiedelt. Das Volk war sozusagen migriert.
Die Deckenarbeit besteht aus einer Kombination von Bambusrohr und Holzleisten, die der Künstler unter heißem Dampf gedreht und in eine für die Installation adäquate Form gebracht hat. Die Stabilität der ganzen Konstruktion wird im Grunde durch große Gelatinekapseln hergestellt, in denen sich kleinere Kapseln befinden, die wie eine Verkeilung funktionieren und die Verspannung der Holzleisten untereinander ermöglichen. Die etwa 16 cm langen Kapseln erinnern an Medikamentenkapseln. Und tatsächlich: Hoke hat die größte im Handel erhältliche Variante dieser Kapseln verwendet, die eigentlich, mit entsprechenden Arzneien versehen, in der Veterinärmedizin Nashörnern oder Elefanten im Krankheitsfall verabreicht werden. Hokes Deckenarbeit visualisiert im Ganzen die gut organisierte Ameisenkolonie, die Kapseln, die das Gebilde in einer Art labilem Zustand zusammenhalten, stehen in diesem Fall sinnbildlich für die Ameiseneier.
Es zeichnet den Künstler und Menschen Tomas Hoke aus, sich verbal und über seine Kunst immer wieder lautstark und engagiert zu Missständen in Politik und Gesellschaft zu äußern. So ist es durchaus legitim, seine installative Arbeit „Passage“ inhaltlich in den Kontext der seit nun schon mehreren Jahren anhaltenden Flüchtlings- und Migrationsdebatte zu stellen. Tomas Hoke nimmt Anteil am Leid der nach Europa flüchtenden Menschen, solidarisiert sich in gewisser Weise mit ihnen und signalisiert im Gespräch Unverständnis hinsichtlich der Abschottungspolitik zahlreicher EU-Länder und dem oftmals menschenverachtenden Umgang mit den Flüchtenden.
Erneut wollte der Künstler im Vorfeld der Ausstellung die Ameisenkolonie mit einer qualitätsvolleren Kamera als die des Mobiltelefons filmen. Doch gleichsam über Nacht waren die Ameisen verschwunden. Seiner Einschätzung nach haben sie ihre Heimat unter der Bronzeplastik verlassen, weil sie es in der Metallbehausung am neuen Standort aufgrund der Hitze und der Sonne des Sommers nicht mehr ausgehalten haben. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als nochmals zu übersiedeln und vor den lebensbedrohlichen Zuständen zu flüchten.
Ich hatte vorhin den Vergleich gewagt zwischen der Deckenarbeit und einem geordneten, in sich vernetzten Ameisenstaat. Vielleicht aber steht das unter der Decke schwebende fragil erscheinende Rückgrat ja auch für die Europäische Union, die seit einigen Jahren nicht gerade vor Stabilität glänzt und wo Solidarität, Vertrauen und Verlässlichkeit unter den einzelnen Ländern nur noch selten praktiziert wird. Das Rückgrat, die Wirbelsäule des Menschen steht in ihrer Vertikalität immer auch für eine tragende Stütze gegenüber der horizontalen (liegenden) unterwürfigen Stellung des Körpers. Da geht es um den aufrechten Gang, um ein Sinnbild von Freiheit und Charakterstärke. Es geht um die Würde des Menschen, es geht um Haltung bewahren, in schwierigen Situationen ruhig, beherrscht und souverän zu agieren. Ein Ameisenstaat, in dem tausende Tiere leben, kann ohne geordnete Abläufe nicht überleben. Interne Systeme und Hierarchien müssen funktionieren, ein Rädchen muss ins andere greifen, es muss in ausgefeilten Organisationsstrukturen zusammengearbeitet werden, damit das Rückgrat nicht bricht.
Es liegt auf der Hand, dass die Ameisen nicht rein zufällig die „Schreitende“ verlassen haben, sondern sie haben es als sinnvoll und notwendig für ihr Überleben erachtet. Sie waren frei darin dorthin zu wandern, wo sie hinwollten. Vermutlich über die Grenzen von Tomas Hokes Grundstück hinweg.
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