Anja Werkl
swansongs 2006
In Franz Schuberts (1797-1828) „Schwanengesang“, einer von dem Verleger Tobias Haslinger postum veröffentlichten Liedfolge zu finden ist. Schubert näherte sich dem Thema aus musikalischer Richtung – schuf eine Reihe von Stücken, die einerseits Ausdruck von Weltschmerz, andererseits von unerschütterlicher Heiterkeit sind. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Arbeiten Tomas Hokes sehen, wenn der Künstler die in klaren, reduzierten Formen erkennbaren Schwäne auf den Blättern mit einem Ausdruck der Verzweiflung mehr kreischen als singen lässt, dem König der Vögel dadurch auch seine Anmut nimmt. Der Stolz der Vögel scheint in einigen Blättern zumindest gebrochen – pure Verzweiflung kündet vom nahen Ende. Die Ironie des Schicksals lässt die einstmalige Schönheit und Noblesse der Schwäne jedenfalls vermissen – der Schwan wird zum hässlichen Entlein, zum schwarz-humorigen Abziehbild seiner selbst.
Seit frühesten Zeiten findet sich der Schwan als Wappentier und Identifikationsfigur lyrischen Bewusstseins und ist mit dem Prozess poetischer Selbstreflexion auf das Tiefste verbunden. So gilt auch der angesichts des Todes angestimmte Gesang als der Inbegriff wahrer Poesie. Horaz, Petrarca, Du Bellay, Hölderlin und Baudelaire zeigten sich in gleicher Weise von dem Symbol inspiriert wie Heine und Celan. Während Horaz (65–8 v. Chr.) in der Ode „Non usitata“ der Poesie durch die Verwandlung des lyrischen Ichs in einen Schwan noch zu einer Verklärung verhilft, nähert sich Paul Celan (1920-1970) in seinem Gedicht „Schwanengefahr“ aus der Sammlung „Lichtzwang“ dem Schwanenmotiv des mythisch-seelisches Sinnbildes und Dichtersymboles religiös gefärbter Auffassung aus einer anderen Richtung. Die radikale, einsame Kühle vermittelnde Reduktion tritt bei Celan anstelle der Mystifizierung und zeigt den Dichter als Schwanenwesen vom Tode bedroht, wobei sein Wort selbst zugleich auch den Tod impliziert. Die Gefährdung anderer wie auch das eigene Gefährdetsein treten innerhalb des Motives als Ambivalenz in Erscheinung. Von dieser Ambivalenz zeugen auch die Papierarbeiten von Tomas Hoke. Hoke nimmt in seinen „swansongs“ ganz gezielt auf das Thema Bedrohung Bezug, scheint eine Persiflage auf den Künstlerberuf und alle damit verbundenen Entbehrungen und Kraftproben zu zeichnen. Der Schwan verkommt zu einer Trauerfigur, die lauthals schreiend von der Gefährdung kündet. Da erscheint das Wesen zeitweilig kurz vor dem Abgrund und rettet sich selbst mit letzter Kraft vor dem Absturz. In anderen Blättern firmiert der Schnabel des Schwans mehr und mehr zur Zange oder zeigt sich als spitzer, bedrohlicher Gegenstand – das Damoklesschwert hängt somit nicht nur über dem Haupt des Künstlers, sondern der Künstler selbst ängstigt auch seine Umgebung.
Wie schon bei Schubert kreisen die „swansongs“ Hokes auch um das Themengebiet Liebe und Partnerschaft. Einige Blätter verkünden vom dauernden Liebesspiel zwischen den Geschlechtern. Der Schwan tritt hier als Sinnbild für Liebe und Treue in Erscheinung, verweist aber gleichzeitig auf die Ambivalenz innerhalb der Metaphorik, die im Mythos „Leda mit dem Schwan“ seinen bedeutendsten Ausdruck findet. Der griechische Mythos erzählt von der Liebe Zeus zu Leda, der Gemahlin des spartanischen Königs Tyndareos. Zeus verwandelt sich in die Gestalt eines Schwanes – verführt und schwängert Leda. Als bekannteste Beispiele der Bildenden Kunst gelten die Gemälde von Leonardo da Vinci (1452-1519) und Corregio (1489-1534). Die Erotik, welche aus dieser Motivik erwächst, so wird Leda als unbekleidete, anmutige Schönheit voll Reinheit und Eleganz vorgeführt in deren unmittelbarer Nähe sich Zeus als stolzer, weißer Schwan – Leda zugewandt – präsentiert, lässt an sexueller Anspielung nichts vermissen.
Auch Hoke nimmt das Thema Erotik in seine Werkgruppe der Papierarbeiten auf und verbildlicht es in eigener Weise. Aus den Flügeln der Schwäne werden zusehends Schenkel, die als Verlängerung der Lenden gleichsam als Symbol für Zeugung und Schöpfungskraft gesehen werden können. Die Schenkel verselbstständigen sich schließlich und werden Bestandteile
eines weiblichen Unterkörpers, der mehr oder weniger tief blicken lässt.
Als Gesamtwerk gesehen lassen die „swansongs“ von Tomas Hoke thematisch Anklänge an Heinrich Pestalozzi´s „Schwanengesang“ aus dem Jahre 1826 erkennen. Pestalozzi formuliert in seiner letzten grossen Schrift die Idee der Elementarbildung noch einmal in aller Breite und Geschlossenheit, verweist auf die Wichtigkeit der Ausbildung eines Gleichgewichtes jener Kräfte, welche die menschliche Natur auszeichnen. Die Harmonie der Kräfteentfaltung garantiert nach Pestalozzi dem Menschen seine Identität. In Bezug auf das Künstlerdasein – und wie Pestalozzi richtig feststellt – ist die Ausbildung der Kräfte aber nur durch ihren Gebrauch möglich. In Anbetracht dessen präsentieren sich die Schwäne Hokes als Mahnmale des allseits verkündeten Untergangs der Hochkultur in einem Land, das die Beschneidung der Kräfteausbildung von Künstlern durch politisch beschlossene Umschichtungen zum Programm hat.