 |
Referat Tomas Hoke
Internationale Konferenz ?Kunst im öffentlichen Raum?
15/16. September 1995 Symposium Lindabrunn NÖ
Vor einer Woche habe ich hier in Lindabrunn, oben im Symposionhaus, mit dem Bildhauer Katagiri aus Japan über die japanischen Schriftzeichen gesprochen.
16000 Zeichen lernt man in neun Jahren. Systematisch. Diese Zeichen sind wie Architekturen, sind wie Zeichnungen und wie nach einem geheimen Rezept zusammengebaut. Was mich besonders erstaunte war die Feststellung Katagiris, daß beim Lesen der Schrift nicht genau definierte Worte oder Begriffe herauskommen, sondern, wie er es formulierte, ein ?Ungefähr?, eine Annäherung an einen Zusammenhang mit ausreichend Unschärfe. 16000 Zeichen, die wegen ihrer komplexen Bauart auf eine große Präzision hinweisen ? diese 16000 Zeichen sind also so etwas wie die Heissenbergsche Atomwolke, die ja die Unmöglichkeit der genauen Orts- und Impulsbestimmung der um den Atomkern kreisenden Elektronen beschreibt.
Im Lehrbuch über Quantenmechanik steht:
Zitat: daß eine Eigenfunktion des Impulses (harmonische Welle) nicht zugleich Eigenfunktion des Ortes sein kann. Es gibt also keinen Zustand, in dem ein Teilchen zugleich einen scharfen Impuls und einen scharfen Ort hat. Man kann sogar zeigen, daß in einem Zustand mit scharfem Impuls der Ort völlig unbestimmt ist, und umgekehrt. (Gerthsen-Kneser-Vogel, Physik)
Zitat Ende.
Zwei Pole werden hier augenscheinlich:
1. Wenn das Objekt sich nicht festmachen läßt, wird es zumindest präzise beschrieben.
2. Die Unschärfe des Begrifflichen steht gegen die präzise Schönheit der Zeichengestalt.
Der Versuch einen Ort zu definieren, sei es aufgrund sozialer, geschichtlicher oder architektonischer Parameter, wird immer auch durch die Bewegung der Menschen unterlaufen, sodaß ein Ordnungs- und Ortungsfaktor aufgrund permanenter wechselseitiger Durchdringungen nur unscharf wahrgenommen werden kann.
Beim Betrachten der Architektur- und Kunstbücher fällt auf, daß der Großteil der Aufnahmen menschenlehre Räume zeigen. Das Ausklammern des Menschen aus dem Abbild des architektonischen Raumes ist zumindest im Zusammenhang mit Rezeptionsgepflogenheiten betrachtenswert. Hier wird ein ?objektiver? Blick gefordert. Zusammenhänge sind auf der formalen Ebene zu suchen ? der Mensch ist Betrachter, nicht Bewohner des Bildes.
Ist der Mensch in seinem Impuls und seiner Eigenfunktion als Ort also jener Trabant, der sich nicht fixieren läßt? Ist er, der Bewohner, auch Störfaktor einer Bildstrategie? Weiter gefragt, ist er als Maßstab zu ungenau?
Zwischen Abbild und real erlebter Ortssituation klafft ein Widerspruch, der sich quer durch unser Wahrnehmungsvermögen zieht. Realraum und dessen Abbild verhält sich etwa so wie die vorher beschriebene Heissenbergsche Unschärferelation, ist also nur getrennt voneinander definierbar. Ein Hilfsbegriff, der uns seit gut einem Jahrzehnt schnell zur Hand ist, wenn es darum geht dieses Wahrnehmungsdilemma zu relativieren ist das Wort ?Kontext?.
Dieser Begriff steht unter anderem auch für Brückenkonstruktionen zur Theorie. Mittlerweile ist er im Zusammenhang mit der Kunstproduktion und ?Rezeption in jene Beliebigkeit abgerutscht, die den derzeitigen Matsch in der Kunstwelt befestigt.
Für mich läßt der Begriff die Dynamik der belebten Gestalt erstarren. Er trägt weiter zur Entsinnlichung unserer Gesellschaft bei. Kontext steht für Beliebigkeit und Fantasielosigkeit, außerdem unterläuft er das Vertrauen auf die eigene Wahrnehmungsfähigkeit. Denn nur wer den ?Kontext? begreift, dem ist der Zugang zur Kunst eröffnet. Er hat die Kluft zwischen Produktion und Rezeption nur noch weiter vertieft. Natürlich war der Begriff ein Vehikel um Netzwerke zu errichten, die für die Weiterentwicklung der Kunst im öffentlichen Raum absolut notwendig sind. Allerdings wurde und wird übersehen, daß der Begriff auch die Trivialisierung vorantreibt, wenn er nicht mehr inhaltlich hinterfragt wird. Er ist etabliert, und damit kein Impulsgeber mehr.
Ich möchte einen neuen Begriff einführen: die Resonanz.
Resonanz beschreibt interaktive Prozesse der Wahrnehmung und der Gestalt.
Resonanz bezeichnet jene Schwingungseigenart zwischen Mensch und Mensch, zwischen Gegenstand und Mensch, und zwischen Gegenstand und Gegenstand.
Resonanz läßt sich nicht festmachen, der Umraum selbst ist Resonanzraum.
Resonanz passiert gleichzeitig auf unendlich vielen Ebenen, wahrnehmbare und nicht wahrnehmbare.
Begriffe sind Orte, die auf der Landkarte der Kunst Kreuzungen bezeichnen.
Das Landschaftsgefüge besteht aber zum Großteil aus Bildern, die nicht objektiv wahrgenommen werden.
Die Wege und Straßen machen einen verschwindenden Teil der Fläche aus. Diese Fläche, dieser Raum ist das Feld der Kunst. Die Wege und die Kreuzungen sind Abgrenzungen oder Verbindungslinien, das Feld dazwischen ist Resonanzraum.
Wie greife ich in den Realraum ein, um mit Impulsen die Resonanzwerte zu erhöhen.
Läßt sich der öffentliche Raum inszenieren?
Für die Inszenierung brauche ich zunächst eine Haltestelle.
Die Haltestelle ist ein Modell: Linie A. Umsteigen zur Linie K, Endstation Museum.
A wie Architektur, K wie Kunst.
Natürlich ist der öffentliche Raum im städtischen Bereich vorwiegend der Architektur vorbehalten. Welches Bild wird nun erzeugt?
Die alten Stadtkerne sind heute Orte der Sehnsucht, des Bedürfnisses nach Harmonie. Sie sind Reservate. Deshalb sind sie auch das hauptsächliche Ziel der Denkmalpfleger und des Tourismus.
Was haben wir nun heute auf der sehr wesentlichen sinnlichen Linie entgegen zu setzen? Bis auf ganz wenige Beispiele gelungener Symbiose historischer Räume mit neuen Gestaltungen, haben wir fast nichts zu bieten außer einigen Repräsentationsbauten.
In den neuen Stadtteilen wird munter die Tradition des österreichischen Wohnbaus weitergeführt, die Ideologie (wie zum Beispiel beim Karl Marxhof) ist verschwunden, die Bewohner üben sich in ihren Berührungsängsten. Die letzten Wohnghettos sind bereits so verschachtelt, daß die winzigen Vorhöfe wie Gefängnishöfe aussehen. Diese Abgrenzung zum Nachbarn wird zum normierten Architekturbestandteil.
Wenn man den Wandel von der Trutzburg Karl Marxhof zu den heutigen Reihenhaussiedlungen verfolgt, so ist der Rückzug ins kleinfamiliere Ghetto augenscheinlich.
Die soziale Notwendigkeit des Schützens einer Gemeinschaft wie beim Karl Marxhof ist einem spießbürgerlichen Verkriechen in die Privatheit gewichen. In dieser Entwicklung sehe ich selbstausgrenzende Resonanzängste.
Hier ist man mit der Inszenierung an einen historischen Tiefpunkt gelangt.
Die Entsinnlichung des Menschen reduziert ihn zu einem Werkzeug.
Die Haltestelle in diesem Bild, ist jener Ort, den ich als Gelenkstück bezeichne. Auf meiner Reise von der Architektur zur Kunst wäre das der Ort des zufälligen Zusammentreffens.
Eines schicke ich voraus: Kunst im Öffentlichen Raum wird nur dann entwickelbar sein, wenn die Protagonisten ihre Metiers austauschen.
Es wird ein neuer Typus des Architekten notwendig sein, wie sich auch ein neuer Künstlertypus etablieren wird müssen. Beide müssen ihre Metiers miteinander austauschen, denn die Abgrenzung gegeneinander zerstört den Raum.
Nicht jeder kann den öffentlichen Raum gestalten, auch wenn er Teil desselben ist.
Im Augenblick jedoch scheint es die Tendenz zu geben, die bildende Kunst wieder ins Museum zu schicken.
Auf der heurigen Biennale in Venedig, zeigt die Deutsche Katharina Fritsch ein Modell für ein Museum, das alle Parameter eines Sakralbaues beinhaltet. Sie setzt damit bewußt ein Zeichen gegen die überladene Ausstellungs? und Museumsarchitektur.
Der Kirchencharakter wird noch verstärkt durch den beigefügten Text, der das Museum als ?Ort der Konzentration? und des Rückzuges bezeichnet. Solche Museen will sie, auch wieder wie Kirchen, im ganzen Land errichten.
Hier zeigt sich klar, daß die Sehnsucht nach Identität, nach Raum und nach Vertiefung durch unseren Städtebau nicht befriedigt wird.
Wenn die Antwort des Künstlers der Rückzug ins Museum ist, dann ist wiedereinmal eine Haltestelle nötig, um kurz die Vorgeschichte zu erfahren:
Der Rückzug läßt sich plausibel begründen, wenn der landläufige Anspruch auf Kunst im öffentlichen Raum rein auf die Stadtmöbelierung bezogen wird. Nun kann man argumentieren, daß die Erfahrung mit der beifügenden Kunst eine denkbar grausliche ist, da hier quasi Zwangsbeglückung und Quotenkunst betrieben wird, und eine Auseinandersetzung mit Ort, Zeit und Geschichte kaum stattfindet (nicht zuletzt auch wegen der oft unbrauchbaren Architektur).
Die Gemeindebaumosaikgeschichte der 50er Jahre lebt in ihrer Unverbindlichkeit bis heute in den Köpfen der Entscheidungsträger weiter, die Künstler ihrerseits fassen daher diese Aufgabe auch überwiegend als Wirtschaftsfaktor auf, und sind treue Diener dieser unrühmlichen Tradition. Schulen werden nach wie vor mit dem ABC behübscht (ein besonders zeitgemäßes Verfahren der Illustration, in der Grauzone der Kontextkunst), widmungsbezogene Gestaltungen landen im Bereich des Design, das gehobene angewandte Handwerk ist ohne Kanten und Angriffsflächen ? pflegeleicht, harmonisch und in, ach so sinnigen, Bezugsstrukturen gefangen ? et cetera, et cetera.
Die Halbwertszeit der Aufputzkunst ist dementsprechend kurz. Also? Warum nicht gleich vergängliche Werke und inszenierte Events als Ereignisse kurzzeitig in die Öffentlichkeit tragen, damit zumindest die Halbwertszeit des Vergessens (oder Erinnerns) den Kunstwert bestimmt!
Das ist ein Ausweg, aber ich glaube auch an ortsgebundene Kunst-Aggregate:
Die Wirkkraft eines ?Kunstaggregates? wird stärker, im Gegensatz zu den oben genannten Inflationsobjekten, durch die Dauer ihrer Präsenz. Diese Präsenz wird durch permanentes Herausfordern der Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen bestimmt: also ist es auch das ganz ?Andere?.
Es ist eine in den öffentlichen Raum integrierte Andockstelle gegen Orientierungslosigkeit.
Es ist die Haltestelle, nicht die Kirche!
Nehmen wir an, die Definition der Kunstproduktion wäre über die persönlichen Obsessionen hinaus Teil des öffentlichen Kulturgutes und damit identitätsprägende Substanz einer Gemeinschaft. Sie wird nicht von allen bewußt wahrgenommen, ist aber dennoch Teil eines kollektiven Bewußtseins.
In den letzten Jahren habe ich, auch aufgrund meiner Projektarbeit, zu einer Vorstellung von Kunstproduktion gefunden, die sich nicht auf Bereiche beschränkt, die traditionellerweise in den Ghettos der Kunst produziert und rezipiert werden. Ich habe erkannt, daß zur kulturellen Entwicklung eine Fülle von Kommunikationswegen und Überschneidungen verschiedenster Metiers zu dem führen, was man allgemein als fruchtbares kulturelles Klima erfährt.
Zu diesen Überschneidungen gehören auch konkrete Auseinandersetzungen mit geschichtlichen, also auch gesellschaftspolitischen Parametern. Ich sehe die Kunstproduktion unter anderem auch als eine, in losen Schichtungen aufgebaute, Resonanz auf gesellschaftliche Bewegungen (Es muß nicht immer der Spiegel sein!). Ein Teil davon wird sich bildhaft mit Objektcharakter niederschlagen. In bestimmten Bereichen wird der öffentliche Raum den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich ein Aggregat der Kultur etablieren kann.
Was also sind die Vorraussetzungen für eine Neuorientierung des öffentlichen Kunstraumes?
Zunächst muß man davon ausgehen, daß sich Plätze mit oder ohne Gestaltung mit Leben füllen. Dies ist ein Phänomen, das sich nicht vorplanen läßt. Warum ein Platz plötzlich bevölkert ist, oder sich eben auch entvölkert, liegt mehr in soziologischen Bereichen als in Gestaltungsbereichen (?also wieder ein Resonanzproblem!). Nun kann aber eine Gestaltung, wenn sie zwischen Planung und Inszenierung einen Teil offenläßt, möglicherweise hilfreich für die Benutzer sein. In diesem Zusammenhang wäre der künstlerische Eingriff eine Art Energiespender für kommunikative Ereignisse. Was in den alten Städten der Brunnen war, könnte im übertragenen Sinn durchaus jenes andere Objekt sein, das, natürlich im Zusammenhang mit dem Umfeld, heute ästhetisch mit der Architektur in Verbindung steht.
Es wäre ein platter Anachronismus Museumsstücke in den öffentlichen Raum zu stellen. Andererseits wird durch den künstlerischen Eingriff der Architektur ihr skulpturaler Ursprung wiedergegeben. Die Bandbreite von möglichen Eingriffen ist so groß wie nie zuvor. Das verleitet naturgemäß aber auch zu Beliebigkeit und Trivialität.
Ein Grund diese Konferenz abzuhalten ist, eine Bestandsaufnahme zu machen, welche Organisationsformen ein derart komplexes künstlerische Feld in Zukunft weiterentwickeln kann.
Es drängen immer mehr Künstler in den öffentlichen Raum. Einerseits wegen des unbefriedigenden Kunstmarktes, andrerseits nehme ich aber auch Leute wahr, die sich mit dem öffentlichen Raum ganz ernsthaft auseinandersetzen. Nachdem politische Ideologien keine Rolle mehr spielen, ist auch die Gefahr der Korrumpierbarkeit gesunken.
Was hier in Österreich fehlt, ist ein Institut, das sich auch als Dienstleistungsunternehmen versteht und das sich ausschließlich mit der Entwicklung des öffentlichen Raumes befasst. Dieses Institut sollte die Zusammenarbeit von Architekten, Künstlern, Wissenschaftlern und nicht zuletzt auch mit der Öffentlichkeit koordinieren. Die Grenzen zwischen den einzelnen Metiers sollten durchlässig und überlappend gemacht werden. Zwischen Entwicklung und Produktion sollten sich Kommunikationsmechanismen etablieren, die permanent einen Austausch garantieren. Das heißt, der Künstler wird sämtliche Voraussetzungen der Organisation, der Planung und der Umsetzung genauso mitgestalten, wie der Architekt, der Wissenschaftler und Entscheidungsträger. Der Produktionsprozess wird also immer im Hinblick auf ein Ganzes ausgerichtet sein. Die Eigenverantwortlichkeit wird in dieser Struktur der zentrale Wert sein. Wer im öffentlichen Raum verbindliche Arbeit leisten will, muß sein Gesichtsfeld erweitern, denn der Elfenbeinturm ist nicht das Wahrzeichen einer Stadt.
Wieder eine Haltestelle: Lindabrunn.
Lindabrunn mit dem Steinbruch, ein Ambiente größter sinnlicher Qualität, könnte durchaus den Rahmen für eine Institution mit dem beschriebenen Inhalt bilden. Hier sind auch besonders gute Voraussetzungen für die Produktion gegeben: In nächster Umgebung sind Fabriken der metallverarbeitenden Industrie, die durch die Zusammenarbeit mit dem Symposion Lindabrunn bereits eine gewisse Einstellung zur Kunstproduktion entwickelt haben. Wenn es gelingt die Infrastruktur aufzubauen wäre das ein Projekt, das zukunftweisende Arbeit leisten kann.
Zum Abschluß also eine Utopie. Das Ziel wäre die Unschärfe als vitales Moment zu akzeptieren, den Verlust des Sinnlichen nicht zu beklagen, sondern das Abenteuer des Gefühls wieder aufzunehmen. Wenn eine Gesellschaft in die Digitalität abdriftet, dann ist es unsere Arbeit den Menschen wieder Mut zu machen, sie von den Bildschirmen wegzulocken und zu zeigen, daß die Bedrohung im öffentlichen Raum aufgelöst werden kann.
Danke.
|
|
 |
 |
 |
|