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Anja Werkl: Das All der Möglichkeiten |
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Jahr:2005
Wvznr: T119
Textbeitrag raum/zeit/raum, Katalog Art frankfurt |
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Das All der Möglichkeiten
Wer den Begriff Kunst definieren will, wird scheitern. Das ist unweigerlich so. Man fragt sich vielleicht weshalb das so ist, doch auch darauf wird man nur ungenügende Antworten finden. Es besteht der Versuch, eine Formel zu finden, eine Richtlinie, die es möglich macht, ganz objektiv zu entscheiden, was als Kunst gelten kann und was auch nicht. Solche Gesetze wohnen der Kunst z. T. schon inne, ein Katalog der Ansprüche, ein Reglement wie man die gute von der schlechten Kunst unterscheidet. Aber wird es dadurch wahrscheinlicher, die Kunst hypothetisch-begrifflich in ihrer Gesamtheit zu fassen?
Wir einigen uns darauf, zu sagen, Kunst ist eine Verführerin. Doch verführt sie uns um des Verführens Willen oder ist es ein zielgerichtetes Verführen, d. h. sie will uns längerfristig binden? Wäre es das zweite, so könnte man von einer Art Beziehung sprechen, die wir mit ihr eingehen. Demnach würden wir der Kunst auch ein eigenes Wesen zugestehen und folgernd daraus, ihr etwas gewähren, das ihr in heutigen Zeiten der Bilderflut auch immer wieder abgesprochen wird, nämlich eine, um es mit einem etwas veralteten Begriff zu benennen, Seele zu besitzen. Würde Kunst tatsächlich nur auf unsere Sinne zielen, ohne unsere Emotionen zu wecken, so wäre es nach Kierkegaard die sinnliche Liebe, die uns an sie bindet. Es besteht allerdings das Faktum, dass die gute Kunst sich u. a. auch dadurch auszeichnet, dass sie für den einzelnen Betrachter langfristig interessant bleibt, da sie in unterschiedlichen Lebensphasen auch unterschiedlich gesehen werden kann, demnach, um Anlehnung an Kierkegaard zu nehmen, es sich wie folgt verhält: die seelische Bindung besteht mit der Zeit, die sinnliche verschwindet jedoch in der Zeit. Demgemäß ist der Bezug zur Kunst oft seelisch motiviert, doch stellt sich damit auch die Frage danach, ob Kunst mehr Subjekt als Objekt ist. Aufgrund ihrer Materialität und auch Leblosigkeit und auf Basis der Vernunft bleibt zu sagen, dass sie Objekt ist. Sie fungiert jedoch als Spiegel unserer Selbst, wenn wir uns darauf einlassen. Sie ist Reibungspunkt oder Begleiterin, je nachdem. Nach Kandinsky berührt sie nicht unsere großen Gefühle wie Trauer, Schmerz oder Angst, sondern beschäftigt sich mit den unterschwelligen, feinen Gemütsbewegungen. Sie stößt wohl an unser eigenes Unbewusstes bzw. wir stoßen durch sie daran. Sie geleitet uns zur Selbstreflexion, und damit ist sie auch Ausdruck unserer vorherrschenden Gesellschaftsstrukturen, weil jedes Individuum gleichfalls Teil der Gesellschaft und damit Stellvertreter aktueller, allgemein menschlicher Tendenzen ist.
Auch die Arbeiten Tomas Hokes verführen und lassen uns über uns selbst reflektieren. Die neue Werkgruppe zeigt uns die Welt eines eigenen Universums, in dem alles möglich ist, oder eben auch nicht, je nach Grad des Sich-Darauf-Einlassens.
Hoke ist Metallbildhauer, arbeitet bevorzugt mit Edelstahl, das sich als Werkstoff nicht nur in seinen Arbeiten kleinerer Abmessungen wieder findet, sondern auch in den zahlreichen großen Skulpturen. Die Härte und Kühle des Materials hält den Betrachter auf Distanz, doch verleiht die spezifische Oberflächengestaltung den Kunstwerken ein sinnliches Moment, das dem Spiel der Verführung, dem Spiel von Nähe und Distanz gerecht wird. Die z. T. hochpolierten Oberflächen funktionieren als Spiegelflächen, werfen den Blick des Betrachters zurück und verweisen somit auf das eigene Selbst. Sie fungieren auch als Grenzen zwischen den Welten, wie auch der Körper als die Grenze zwischen innen und außen wahrgenommen werden kann. Welche dieser Realitäten ist nun aber real? Besteht ein Universum außerhalb des Universums?
Daß Tomas Hoke ein vielseitiger Künstler ist, hat er in der Vergangenheit oftmals bewiesen. Seit 1998 beschäftigt sich der Künstler in einer Serie von Neonarbeiten auch mit dem Thema des Lichtes, dessen Wirkungsweise innerhalb der Kunstgeschichte einen zentralen Stellenwert einnimmt. Schon in der italienischen Malerei des 13. Jhds. wurde das Licht zur Modulation von Volumen und Dreidimensionalität eingesetzt. Ende des 19. Jhds. behandelte schließlich der Impressionismus das Licht in gesonderter Weise, in dem er es seiner Funktion zur Beschreibung von Plastizität vermehrt enthob und es selbst zum Thema machte. Seit den 20er Jahren des 20. Jhds. wird das Licht identisch mit der plastischen Form. Die ersten Arbeiten dieser Prägung lieferte Laszlo Moholy-Nagy, der sich u.a. mit der Gestaltung des direkten Lichtes beschäftigte.
Lichtkunst will ja mehr als beleuchten will erleuchten. Möchte die Aufmerksamkeit auf sich oder anderes richten, stärker als ein Farbfleck auf einem Bildträger es je könnte. Schnell und kräftig. Will verwandeln, verführen. Spielt in beide Richtungen: ist selbst Objekt oder macht anderes dazu. (Tomas Hoke)
Hoke spielt das Spiel der Verführung also auch in Hinblick auf das Licht. Licht bannt unseren Blick, lenkt ab oder hin. Die auf die Edelstahlplatten applizierten Neonröhren bestimmen eine abstrahierte Form. Das Licht fungiert als Zeichnung, ist graphisches Element dieser Arbeiten. Bei allzu flüchtiger Betrachtung verschleiert es das Dahinter, lenkt den Blick ab von jenem Universum der ganz eigenen Art. Gummi als Werkstoff korrespondiert mit hauteigenen Eigenschaften, ist demnach als Sinnbild der eigenen Fleischlichkeit zu verstehen.
Der neue Werktitel raumzeit/zeitraum ist bewusst gewählt und gibt wieder, innerhalb welcher Strukturen wir uns selbst befinden. Der Raum bezeichnet die Dreidimensionalität in der wir uns aufhalten, die Zeit legt das Hier und Jetzt fest. Daß aber die Zeit nicht ohne den Raum bestehen kann und auch umgekehrt, dass auch ein Zeitraum etwas anderes ist als eine Raumzeit, wird durch den Titel unterstrichen. Zeit ist relativ, eine Behauptung, die sich darauf stützt, dass Zeit einerseits eine objektiv messbare Größe ist, andererseits auch ein subjektives Empfinden. Wer kann sagen, dass gleiches nicht auch für den Raum gilt? Entpuppt sich unser Universum in Zukunft vielleicht doch nur als Mikrokosmos einer noch größeren Unendlichkeit?
Anja Werkl
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